Musikalischer Jahresrückblick 2008
 

 

All right, liebe Leserinnen und Leser, es ist mal wieder soweit. Während das Jahr sich gegen Ende neigt, wir uns fragen, wo all die vergangenen Tage, Wochen und Monate abgeblieben sind, ist es nun schon wieder an der Zeit, sich vor dem musikalischen Geschehen in 2008 dankend zu verbeugen. Und so sehr man auch dieser Tage in unzähligen virtuellen wie realen Magazinen mit Jahresbestenlisten in tabellarisch akribisch durchnummerierten Auflistungen und dergleichen überhäuft wird, ist es mir eine ungetrübte Freude, hier auf dieser schönen Homepage mit meiner persönlichen Revue aufzuwarten, und zwar wie gehabt im schönen Fließtext – wenngleich ich vermute, dass das EH KAUM EINER LIEST!!
Dies stellt natürlich großes Pech für die Nichtleser dar, die noch nicht einmal AHNEN können, was ihnen entgeht. Sollte ich mal Lust bekommen, etwas kostbare Zeit darauf zu verwenden, so werde ich eine Träne für all jene vergießen, um auf diese Weise in aller Stille dem Schicksal der Unwissenden mein Mitgefühl zum Ausdruck zu bringen. Zuvor hab ich allerdings noch für die Lesenden zu tun…

Wie so oft nutzte ich die ersten Wochen des Jahres, mich noch ein wenig mit Musik des Vorjahres zu beschäftigen, dabei auch endlich ein wenig runterzukommen, mich vom gerade überstandenen Jahresendstress, welcher einem immer wieder – in gutem sowie schlechtem Sinne – beschert wird, zu erholen. So dauerte es also bis hinein in den Februar, dass ich endlich über LOS ging und die ersten beiden diesjährigen Veröffentlichungen in der Hand hielt: Zum einen die Werkschau „Meet the Eels“ von den Eels, eine sehr schöne Sammlung wie ich meine. Nicht so richtig doll fand ich dagegen das aktuelle Album von Nick Cave und seinen Bad Seeds, „Dig Lazarus Dig“. Auch wenn es schön ist, dass er mal wieder vermehrt rockt, vermochte erst die zweite Hälfte des Albums mich etwas aufzutauen. Der erste richtige Kracher kam im März: „Saturnalia“ von den Gutter Twins. Die nisteten sich richtig hartnäckig in meinen Gehörgängen ein und hielten meinen Player lange besetzt. Ein kleines, düsteres Meisterwerk mit deutlicher Handschrift Mark Lanegans. Noch im selben Monat schlugen auch meine alten Helden von Motorpsycho wieder zu, mit ihrem meines schlichten Erachtens besten Werk seit langem, genannt „Little Lucid Moments“. Offenbar durch den neuen, fest angestellten Drummer wieder zu alter Stärke erwacht, gibt es hier vier Träcks binnen sechzig Minuten. Das nimmt natürlich etwas Zeit in Anspruch, die man für solch grandiose Musik jedoch sehr, sehr gerne aufbringt. Als Belohnung kann dieses Album schließlich mit so einigem aufwarten, was die Norweger ausmacht: progressiv psychedelischer Rock, ein Schuss Pop, Sixties und Seventies, Spaciges, lange Instrumentalparts; und das alles nicht nur auf Albumlänge verteilt, sondern vielmehr innerhalb einzelner Songs gekonnt miteinander verwoben. Großartig, kann ich da nur sagen. Leider waren deren Deutschlandkonzerte nicht mit meinem Arbeitgeber abgestimmt, so dass ich mich auf der folgenden Tour zähneknirschend enthaltsam zeigen musste. Allerdings wusste diese meine Lieblingsbänd per fast sechstündiger Doppel-DVD namens „Haircuts“ den Schmerz ein wenig zu lindern.


Gut gefallen konnte mir der etwas verschwurbelte, düstere Psychedelia-Country-Folk von Hugo Race And The True Spirit mit ihrem „53rd State“. Im Mai kam dann – sechs Jahre nach ihrem fabelhaften letzten Werk – die mit Spannung erwartete neue Platte von The Notwist, genannt „The Devil, You + Me“ auf den Markt. Ein Album, das eigentlich ohne richtigen Hit auskommt, in sich geschlossen, mit jedem Durchlauf mehr und mehr wachsend, bis es sich zeitweise in meiner Anlage richtiggehend festgebissen hatte. Wundervoll!! Eine Scheibe der Extra-Klasse!! Etwas verspätet fanden sich denn auch die New Yorker Newcomer Vampire Weekend bei mir ein, in meiner Sammlung quasi die Vertreter der im Laufe des Jahres von der Fachpresse gehypten Bänds. Ein nettes Gute-Laune-Scheibchen, dieses natürlich selbstbetitelte Debut.


Grade als es etwas wärmer wurde, gabs dann Neues von Grand Island mit ihrem zweiten Album „Boys & Brutes“, auf welchem mein diesjähriger Sommerhit „Love and Decay“ zu finden ist und der mir prompt die warmen Tage versüßte. Insgesamt etwas glatter produziert als der Vorgänger und weniger zappelig, nichtsdestotrotz eine feine, ohrwurmbepackte Scheibe. Nicht lumpen ließ sich auch Guz, der mit „Mein Name ist Guz“ eine sehr geile Platte unters Volk brachte; der Schweizer gehört meiner Meinung nach derzeit zu den besten deutschsprachigen Musikanten, nicht zuletzt weil er es auf sehr angenehme Weise nicht an Humor mangeln lässt, und der kommt ja bekanntlich in der Musik leider häufig etwas zu kurz. Und wenn ich mal groß bin, will ich auch würdevoll und alt sein…
Weiter meldete sich Colin Meloy von den Decemberists mit einer Solo-Live-Doppel-LP („Colin Meloy Sings Live“, nur auf Vinyl erhältlich!!) zu Wort. Ob alleine oder mit Bänd, der Mann trifft einfach meinen Nerv!! Für die Einstürzenden Neubauten mit ihren „Jewels“ benötige ich wohl noch etwas Zeit, auch Conor Oberst mit seinem selbstbetitelten Solo-Album mochte mich bislang nicht allzu sehr mitreißen, im Gegensatz zu meiner Neuentdeckung des Hochsommers, der mal wieder kein richtiger war: Dan Le Sac vs. Scroobius Pip, die mit „Angles“ eine klasse Platte hingelegt haben, einen kunterbunten Mix aus Elektronischem, Hip Hop und Gitarre, auf der es wahrscheinlich noch lange Neues zu entdecken gibt – nicht zuletzt bei den häufig (selbst)ironischen Texten. Auch bei Late Of The Pier mit ihrem „Fantasy Black Channel“ paaren sich diverse Stilrichtungen, hier mit unüberhörbar deutlichem Einfluss der Achtziger-Synthie-Sounds.

Schön düster-melancholisch dagegen kam auch der zweite Schlag Mark Lanegans daher, zusammen mit der – stimmlich wie optisch – ausgesprochen hübschen Isobel Campbell, ergo genannt Isobel Campbell & Mark Lanegan, „Sunday At The Devil Dirt“. Paul Weller, der alte Mod, hat mit „22 Dreams“ ebenfalls ein Album hingelegt, bei dem sich Stile und Richtungen die Klinke in die Hand geben, ein zeitloses Meisterwerk. Ganz klar songschreiberische Maßstäbe setzte auch Old Seed mit seiner neuen 10-Inch-Platte „Simple Tales Of Morality“, einem Singer/Songwriter-Scheibchen allererster Sahne, sowohl stimmlich, textlich als auch musikalisch. Scars On Broadway, das Side-Project (oder etwa die neue Hauptbänd??) des System Of A Down Gitarristen/Sängers nebst Schlagzeuger schubsten mit ihrem gleichnamigen Debut ebenfalls ein Album in meine Sammlung, bei dem sich einige echte Ohrwürmer in den Gehörgängen wahre Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Eine richtige Pannen-Platte gabs dagegen von Weezer, bei deren rotem Album mir das entsprechend gefärbte Vinyl noch am besten gefällt….


Im Herbst wartete David Eugene Edwards mit der bis dato wohl besten Platte von Woven Hand, „Ten Stones“ auf. Zeitloser Düster-Folk, stark erinnernd an die unvergessenen 16Horsepower. Sehr schön!! Und auch Tom Gabel ließ es sich nicht nehmen, eine Solo-EP zu veröffentlichen, „Heart Burns“, mit sieben feinen Songs in guter alter Against-Me!-Tradition, die man eigentlich auch immer und immer wieder hören möchte. Ziemlich ruhig geht’s bei Emirsian zu, der mit „Yelq“ ein neues Album am Start hat, welches klassisch-poppigen Songwriterstoff mit armenischen Folklore-Zusätzen verfeinert. Sehr gelungen!! Außerdem kam aus dem Hause Neil Young eine remasterte Doppel-LP auf den Markt, zusammen mit Crazy Horse, „Live in San Francisco“. Einfach gut, wenn auch nun schon dreißig Jahre seit diesen legendären Aufnahmen in die Lande gestrichen sind!!


Kurz vor Redaktionsschluss flutschten mir dann noch drei weitaus früher im Jahr veröffentlichte Alben ins Haus: zum einen „The Stand Ins“ von Okkervil River, eine ausgezeichnete Singer/Songwriter-Platte, großzügig ausstaffiert mit vielen Gastmusikern, zeitlos schön, auch mit Ohrwurm-Songs nicht geizend. Eine echte Perle!! Außerdem gab sich Bob Dylan die Ehre, die mittlerweile Volume 8 seiner Bootleg-Serie rauszuhauen, betitelt „Tell Tale Signs“, diesmal die Jahre 1989-2006 um rare und unveröffentlichte Aufnahmen ergänzend. Eine nicht weniger als hervorragende Sammlung auf Doppel-CD. Und last but noch lange not least die Scheibe „Nouns“ von der grade mal 2 Mann starken L.A.-Bänd No Age, ein supergeiles Noise-Art-Punk-Album, das sich in meine Gehörgänge regelrecht eingefräst hat. Was für ein Kracher. Schräge Sounds jagen Gitarrenwände jagen Melodieschnipsel. I really really love it!! Und dann auch noch mit 60-seitigem Booklet in hübscher Papp-Digi-Päck-Aufmachung. Cool as cool can be!!
Damit werd ich wohl die ersten Wochen im neuen Jahr gut beschäftigt sein und kann hiermit meine Liste der Neuzugänge des vergangenen Jahres abschließen, um nun noch einmal in aller Kürze das Live-Geschehen in 2008 zu umreißen.

Wie manche Stammleser wohl schon im Laufe des Jahres bemerkt haben mögen, gab es nämlich auch viele gute Konzerte im vergangenen Jahr zu erleben. Im Folgenden noch einmal die Höhepunkte, beginnend im regnerischen April mit Against Me! in Straßburg, das Ritchie-Records-Festival im Frühsommer mit Guz, Bernadette La Hengst und Knarf Rellöm in Freiburg, nachdem eine Woche zuvor an selber Stelle Chuck Ragan begeistern konnte. Dann im August Neil Young in Colmar, eine echte Legende, sehr eindrücklich. Im Herbst Paul Weller in der Berliner Columbiahalle, im Dezember Pothead, die hier berechtigterweise alle Jahre wieder Erwähnung finden, in der Stuttgarter Röhre und zwei Tage danach die Auferstehung von Monster Magnet im Stuttgarter Longhorn. Doch allen voran, mitten im Sommer im Freiburger Jazzhaus das unbestrittene musikalische Jahreshighlight: The Notwist. Die gefielen mir gar so gut, dass es mich vier Monate später gleich noch mal in die Laiterie zog….

Es war also so einiges geboten im nunmehr vergangenen Jahr. Und über die ganzen Neuerscheinungen hinaus entdeckt man ja auch alte oder ältere Sachen wieder oder neu, so wie ich nach vielen Jahren bis zum letzten Sommer gebraucht habe, eine Bänd wie System Of A Down so richtig schätzen zu lernen.
Tja, liebe Leserinnen und Leser, was täte man nur, gäbe es die Musik nicht? Ich möchte es mir nicht im Entferntesten ausmalen, wie trist, grau und eintönig der Alltag ohne diesen meiner Meinung nach wichtigsten Kulturteil aussähe. Falls es manchen unter Euch genauso geht hoffe ich, dass ich vielleicht den einen oder anderen Tipp hierzu geben konnte, Euch vielleicht die eine oder andere Platte näher bringen konnte und nebenher noch beim Lesen etwas Freude bereitet habe und verabschiede mich hiermit für dieses Jahr, um im nächsten sicherlich wieder das eine oder andere neue Kapitel aufschlagen zu können.

Machts gut, rockt weiter und verlernt auch in 2009 das Lesen nicht


Euer Pändy!!

 

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