Henryk Gorecki: Symphony No. 3 – Symphony of Sorrowful Songs op.36

Beth Gibbons & The Polish National Radio Symphony Orchestra/ Krzysztof Penederecki

(VÖ: 29.03.19 / Domino Records/Goodtogo) 

 

Wenn die Grande Dame des Trip-Hop die Musikwelt im Jahre 2019 mit einer ihrer äußerst seltenen Mitwirkungen an einem neuem Album beglückt (meines Wissens nach ist Beth Gibbons nach dem Erscheinen des letzten Portishead-Albums Third von 2008 musikalisch weitgehend verstummt), dann ist das per se schon ein Grund, sich mit dieser Veröffentlichung etwas intensiver zu befassen.
Doppelt spannend wird es allerdings, wenn ebenjene Platte dann auch noch die Aufführung eines Werkes der sogenannten 'E-Musik' (eigentlich eine furchtbare Schubladen-Bezeichnung) dokumentiert. Zusammen mit dem Polish National Radio Symphonic Orchestra hat Gibbons die dritte Symphonie des 2010 verstorbenen polnischen Komponisten Henryk Mikolaj Gorecki eingespielt, die auch als Sinfonie der Klagelieder bekannt geworden ist und es Anfang der 1990er Jahre wohl sogar in die britischen Popcharts geschafft hat.


Ich muss allerdings gestehen, dass mir der Name Gorecki bisher kein Begriff war. Nun ist aber der Dirigent dieser Aufnahme schon ein richtiges Schwergewicht, was in diesem Fall neben der Personalie Gibbons mein sofortiges Interesse an dieser Veröffentlichung zu wecken verstand. Krzysztof Penderecki ist nicht nur einer der interessantesten Komponisten unserer Zeit, ein visionärer Vorreiter der postseriellen Musik, sondern für mich auch schlicht der wohl innovativste noch lebende Vertreter ebenjener zeitgenössischen 'E-Musik'. Ans Herz legen möchte ich hier dem interessierten Hörer unbedingt sein kollosal virtuos-durchgeknalltes 2. Violinkonzert 'Metamorphosen', das er für die Geigerin Anne-Sophie Mutter geschrieben hat (Link unten – hier ohne Mutter, aber von Penderecki selbst dirigiert.)


Aber nun zur vorliegenden 3. Symphonie von Gorecki, die in tatsächlich in jedem Ton die namensgebenden Klagen atmet. Die Musik ist in ihrer vordergründigen Simplizität so etwas wie klanggewordener Schmerz, den vor allem der 1. Satz weidlich auskostet. Auf dem Papier ist hier zwar ein komplettes Orchester zugange, aber eigentlich haben wir es hauptsächlich mit einem opulenten Streicherwerk zu tun, bei dem die übrigen Instrumtengruppen nur sehr sporadisch und andeutungsweise zum Einsatz kommen. Die Bläser spielen eigentlich nur breite Liegetöne und füllen damit, ohne klar definierbar zu sein, den sehr dichten Gesamtklang auf.
Wie in den meisten Symphonien seit Beethoven üblich, bildet auch hier der Eröffnungssatz den Dreh- und Angelpunkt. Überschrieben mit Lento. Sostenuto tranquillo ma cantabile (also langsam, mit langen Haltetönen gespielt, aber trotzdem gesanglich zu interpretieren), beginnt die Komposition mit den tiefen Kontrabässen und schwingt sich über die Celli bis hin zu den Geigen stetig nach oben. Das Werk hat insgesamt einen relativ geringen tonalen Ambitus, ungefähr im Quint- bis Sextbereich, wiederholt stetig kurze musikalische Formeln und erinnert mich stark an vergleichbare Kompositionen der US-amerikanischen Minimal-Music (die Orchesterarbeiten von Philip Glass waren tatsächlich meine erste Assoziation). Die Musik lebt also weniger von der Virtuosität, als vielmehr von ihrer Atmosphäre – was dann wieder hervorragend den Bogen zu den Klangwelten von Portishead und Beth Gibbons schlägt. Die hat in der Symphonie so ungefähr nach 12 Minuten ihren ersten Einsatz: Die Streicher verklingen, eine Geige lässt einen Ton stehen und über einem mehrfachen angeschlagenen Klavierton beginnt eine kurze, aber doch wunderschöne Arie.


Der 2. Satz ist sehr viel kürzer und von richtig tieftrauriger Schönheit. Auch hier wieder das sich verdichtende Aufschwingen der Streicher, geprägt vom Gesang, der sich in die Dynamik der Musik vollkommen einwebt. Hier singt der Sopran fast durchgehend so etwas wie ein lyrisches Rezitativ in absteigendem Moll und vollzieht gleichzeitig intensive eine Verschmelzung mit dem Orchesterklang. Die Stimme agiert selbst fast wie ein Instrument im Orchester, was sehr fasziniert!
Der abschließende dritte Satz ist musikalisch dann noch reduzierter, hier bricht der minimalistische Ansatz sich vollends seine Bahn: Streicher und Piano geben sich mit gerade mal 3-4 Tönen zufrieden und bilden damit eine schlichte Basis für die Sopran-Stimme. Ich muss allerdings zugeben, dass, trotz meines Faibles für das Konzept einer meditativ-radikalen Reduktion musikalischer Mittel, mich dieser Teil der Symphonie eher langweilt. Das eigentlich spannende Konzept des Werkes wirkt hier auserzählt und fügt den ersten beiden, kompositorisch durchaus beeindruckenden Teilen, nichts wirklich Bemerkenswertes hinzu.

Klassische Werke erringen ihre Bedeutung ja meist (bzw. eigentlich immer) in der Interpretation. Indem der Interpret das freilegt, was über die Partitur, den puren Notentext hinaus, die Musik im Eigentlichen zum Leben erweckt, entfaltet er erst den eigentlich künstlerischen Wert der Komposition. Und hier muss man sagen, dass Pendereckis Version den morbiden Charakter des Stückes ziemlich grandios umsetzt. Auf Effekthascherei wie Crecesendi (also einem Lauter-Werden als musikalisches Mittel) verzichtet er fast vollkommen. Die Steigerung erreicht das Orchester allein durch eine stetige Verdichtung des Streicherklanges, der langsam-kontinuierlichen Hinzunahme neuer Klangfarben, was an sich schon sehr bemerkenswert ist. Erst am Ende der Arie des 1. Satzes kommt die geballte Lautstärke des Orchesters zur Geltung, dann erreicht die Musik ihr Maximum an Gesanglichkeit und Intensität.


Leider muss ich aber auch sagen, dass Beth Gibbons' stimmliche Leistung (sie hat für die Aufnahme umfangreichen Unterricht im Sopran-Gesang genommen) nicht ganz an die musikalische Umsetzung heranreicht. Aber das durfte man auch eigentlich gar nicht erwarten, immerhin ist die Partitur für eine langjährig ausgebildetet Sopranistin komponiniert. Zudem ist der Text nunmal auf Polnisch, was für eine Engländerin die Sache nicht unbedingt erleichtern dürfte. Gemessen daran macht sie ihre Sache dann schon wieder beeindruckend. (Wer an einem Vergleich interessiert ist, höre mal im 2. Link unten rein: Dawn Upshaw singt hier einfach herzzerreißend, aber Penderecki und die Polish Nationals sind trotzdem um Längen besser als Zinman und die London Sinfonietta!)


Ich glaube, das eigentliche Problem der Aufnahme ist, dass man sie gerade wegen Beth Gibbons' einzigartiger und ausdrucksvoller Stimme irgendwie mehr als ein spannendes Experiment wahrnimmt. Mit dem Gesang von Gibbons hätte der 2. Satz, nebst ein paar triphopigen Elektro-Sounds, auch auf einer alten Portishead-Platte stehen können. Sie prägt sich damit der Komposition ein (was durchaus interessant ist), kann die Qualität der Aufnahme aber leider nicht halten.
Rein musikalisch ist die Interpration nämlich schlicht grandios, geradezu eine Referenzaufnahme, die mir auf alle Fälle viel Lust auf eine etwas intensivere Beschäftigung mit dem künstlerischen Schaffen von Penderecki ( leider nicht so sehr mit dem von Gorecki) gemacht hat.

 

Martin, 9.06.19

 

... und die beiden im Text erwähnten Linxx für Interessierte:

1 Metamorphosen

2 Dawn Upshaw

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